Auch wenn wir in Deutschland keine kurzfristige Aussicht darauf haben, von einem echten, sich autonom steuernden Fahrzeug chauffiert zu werden: Das Thema ist in den Köpfen. Bei einem Essen mit Freunden kamen wir über KI auch auf selbstfahrende Autos und sogar die gerade zufällig an den Tisch kommende Kellnerin, die bis dahin eher kurz angebunden war, brachte sich ein und steuerte Erinnerungen an K.I.T.T. bei. Aber auch die Aussage, dass sie sich so etwas für sich nicht vorstellen könne.
Die Angst vor dem lenkradlosen Auto
Auch in unserer Runde war eher die Meinung, sich nicht auf so ein System verlassen zu wollen. Das man als Softwareentwickler nur zu gut weiß, was alles schief gehen kann bei der Programmierung eines so komplexen Produkts, ist die eine Seite. Aber auf der anderen Seite fliegen wir auch mit Flugzeugen, die bereits weitestgehend von Automaten bedient werden und in denen ich als Passagier keinerlei Bezug zu den Personen habe, die vorne die Kontrolle ausüben. Und im Straßenverkehr erleben wir eigentlich jeden Tag Mitmenschen, die sich riskant verhalten. Und manchmal ist man selbst das Risiko, auch wenn ich bei den bisher zwei schweren Autounfällen in meinem Leben immerhin nur in einem Fall Schuld war und zum Glück keine anderen Personen verletzt wurden.
Sicher gibt es eine hohe Berichtsdichte über Fehlleistungen der selbstfahrenden Fahrzeuge, so kann man sich auch in deutschsprachigen Medien detailliert über Unfälle und Merkwürdigkeiten wie nächtliche Hupkonzerte auf dem Laufenden halten. Erleichert wird dies durch engmaschige Berichtspflichten, die US Behörden den Herstellern entsprechender Fahrzeuge auferlegt haben, teilweise verbunden mit einer Pflicht zur Offenlegung der Vorfälle im Netz. Aber ist eine ‚übertriebene‘ Berichtserstattung Schuld am Gefühl, dass autonome Fahrzeuge unsicher sind?
Von Waymo wurde jetzt ein interessanter, neuer Ansatz vorgestellt, um die Sicherheits von automonen Fahrzeugen zu beurteilen. Diese werden im weiteren mit ADS – Autonomous Driving Systems – bezeichnet, die von menschlichen Fahrer*innen gesteuerten Fahrzeuge mit HDV – Human-Driven Vehicles.
Was ist Waymo
Waymo ist aus dem Google Projekt zur Entwicklung eines selbstfahrenden Autos hervorgegangen und eine Tochtergesellschaft der Alphabet Holding, zu der auch Google gehört. Waymo ist heute das einzige Unternehmen, welches kommerzielle, nicht mehr von Sicherheitsfahrer*innen begleitete, autonome Fahrten in 4 US Städten anbieten darf (‚Robotaxis‘). Und zwar inzwischen in erheblichem Umfang:
Laut Alphabet Q3 Quartalsbericht werden nun pro Woche 150.000 vollautonome, kommerzielle Fahrten durchgeführt und dabei jeweils mehr als eine Million Meilen zurückgelegt:
Now, each week, Waymo is driving more than one million fully autonomous miles, and serves over one hundred and fifty thousand paid rides — the first time any AV company has reached this kind of mainstream use.
Damit bilden die Fahrleistungen der Waymo Fahrzeugen die umfangreichste Datensammlung zur ADS Performance in echten Verkehrssituationen, die heute zur Verfügung steht.
Der lange, langsame Weg zum selbstfahrenden Auto
Auf dem langen Weg von ersten Fahrversuchen auf Übungsgeländen bis hin zum heute erreichten Stand war Waymo immer wieder das Objekt kritischer Berichterstattungen und hoher, öffentlicher Aufmerksamkeit. Auch wenn die Versprechungen nie so vollmundig waren wie die von Konkurrenten (Tesla), so waren die Erwartungen doch hoch, das Problem des ‚Roboterautos‘ schnell lösen zu können. Auch bei Chris Urmson, der in 2015 der Leiter des Google Projekts war, und der damals auf einem TED Talk diesen Satz sagte:
My oldest son is 11, and that means in four and a half years, he’s going to be able to get his driver’s license. My team and I are committed to making sure that doesn’t happen.
Man kann sagen, dass diese Zeitlinie deutlich verfehlt wurde. Was aber vermutlich eher der Sorgfalt geschuldet ist, mit der bei Waymo an der Aufgabe gearbeitet wurde, und durch die zwar kein großer Marketinghype (Tesla), aber auch keine Todesopfer (wieder Tesla, aber auch Uber) verursacht wurden. Trotzdem wird in den Köpfen vermutlich hängen bleiben, dass selbstfahrende Fahrzeuge (noch) nicht perfekt sind, und dabei nicht groß zwischen den Anbietern unterschieden.
Waymo Safety Impact
Waymo geht dieses Thema in einer eigenen Webseite an, die sie mit Safety Impact betiteln. Hier stellen sie ihre Unfallzahlen dar und ziehen auch umfangreiche Vergleiche mit der Unfallhäufigkeit von durch menschliche Fahrer*innen gesteuerte Fahrzeuge (hier als Benchmark bezeichnet):
In den beiden Graphiken werden die Häufigkeiten unterschiedlicher Arten von Unfällen in den beiden Städten mit der bisher größten Nutzung von Waymo Fahrzeugen (Phoenix und San Francisco) sowie die Vertrauensintervalle der statischen Auswertung dargestellt. Hier schneiden die Waymo Fahrzeuge schon deutlich besser ab. Aber Waymo widmet noch einen umfangreichen Abschnitt der Frage, wie gut die zu Grunde liegenden Zahlen eigentlich vergleichbar sind:
Waymos Kritik an der eigenen Statistik
In dem folgenden, von der Safety Impact Seite zitierten Abschnitt, bringt Waymo die kritischen Punkte vor und es geht offenkundig darum zu begründen, warum sie sich im Vergleich zu anderen Unfallstatistiken schlechter gestellt sehen. Die Hervorhebungen im Text sind dabei von mir:
Despite the public availability of crash data for both human-driven and autonomous vehicles, drawing meaningful comparisons between the two is challenging. To ensure a fair comparison, there’s a number of factors that should be taken into consideration. Here are some of the most important:
- AV and human data have different definitions of a crash. AV operators like Waymo must report any physical contact that results or allegedly results in any property damage, injury, or fatality, while most human crash data require at least enough damage for the police to file a collision report.
- Not all human crashes are reported. NHTSA estimates that 60% of property damage crashes and 32% of injury crashes aren’t reported to police (Blincoe et al. 2023). In contrast, AV companies report even the most minor crashes in order to demonstrate the trustworthiness of autonomous driving on public roads.
- Focus should be put on injury-causing crashes. Low speed crashes that result in minor damage can cause property damage that can be quickly repaired. These low speed crashes are also the most frequent types of crashes. In traffic safety, the most emphasis is put on reducing the highest severity crashes that can result in injuries.
- It’s important to look at rates of events (incidents per mile) instead of absolute counts. Waymo is growing its operations in the cities we operate in. With more driving miles come more absolute collisions. It’s critical to consider the total miles driven to accurately calculate incident rates. If you do not consider the miles driven, it may appear like incidents are increasing while in reality the rate of incidents could be going down.
- ..
Der wesentliche Punkt, den ich gut nachvollziehen kann, ist die Dokumentationstiefe: Firmen wie Waymo müssen auch harmlose Unfälle melden, so z. B. die in der Seite separat ausgewiesen Kollisionen mit weniger als einer Meile pro Stunde. Also weit unter Schrittgeschwindigkeit. Menschliche Fahrer*innen würden sich in so einem Fall vermutlich oft überhaupt nicht an die Polizei wenden und der Vorfall damit nicht für Vergleiche zur Verfügung stehen.
Ein anderer, eigentlich banaler Hinweis, ist nicht einfach nur die absolute Zahl der Vorfälle zu betrachen, die natürlicherweise mit wachsender Fahrleistung immer weiter und vielleicht auch immer schneller steigen wird. Sondern ein relatives Maß zu nutzen (‚Vorfälle pro Meile‘). Aber es ist natürlich auch klar, dass Nachrichtenseiten lieber mit Schlagzeilen wie ‚Waymos Unfallzahlen verdoppeln sich von Jahr zu Jahr!‘ arbeiten.
‚Waymo is safer than even the most advanced human-driven vehicles‘
Das vor wenigen Tagen im Waymo Blog vorgestellte Forschungspaper mit dem umfangreichen Titel
Do Autonomous Vehicles Outperform Latest-Generation Human-Driven Vehicles? A Comparison to Waymo’s Auto Liability Insurance Claims at 25 Million Miles
hat Waymo in Zusammenarbeit mit der Swiss Re, der Schweizerischen Rückversicherungs-Gesellschaft, erstellt. Es adressiert explizit Entscheider*innen in Politik und Verwaltung, denen man eine faktenbasierte – und natürlich für Waymo positive – Entscheidungsgrundlage anbieten möchte. Da sich Waymo auf Expansionskurs befindet – Miami soll Anfang 2025 als nächste Stadt dazu kommen – wird die Frage nach der Sicherheit der Fahrzeuge immer wieder diskutiert werden.
Die Basis für den Vergleich zwischen Mensch und Maschine ist hier ein neuer: Es werden Versicherungsdaten bzw. gemeldete Versicherungsfälle herangezogen. Damit ist die Fallbasis eine andere, denn banale Unfallereignisse sind hier eher nicht abgebildet, da kein versicherungsrelevanter Schaden entstanden ist. Die Bilanz ist hier dann auch gleich deutlich positiver für Waymo:
Im Paper wird dieses Fazit gezogen:
Results demonstrate that the Waymo ADS significantly outperformed both the overall driving population (88% reduction in property damage claims, 92% in bodily injury claims), and outperformed the more stringent latest-generation HDV benchmark (86% reduction in property damage claims and 90% in bodily injury claims).
Das sind ganz andere Werte als beim Vergleich der Polizeistatistiken und der meldepflichten ADS Vorfälle. Waymo kommt hier nach nun 25 Millionen Meilen auswertbarer, autonom gefahrener Strecke zu dem Ergebnis, dass seine Fahrzeuge nur noch ca. ein Zehntel des Schadensrisikos von menschengelenkten Fahrzeugen haben. Insgesamt geht es hier immer noch um sehr kleine Fallzahlen, gerade bei Personenschäden:
…the Waymo Driver was involved in just nine property damage claims and two bodily injury claims. Both bodily injury claims are still open and described in the paper. For the same distance, human drivers would be expected to have 78 property damage and 26 bodily injury claims.
Trotzdem sehen sich die Autor*innen des Papers durch die nun stark gewachsene statistische Grundlage dazu berechtigt das Vertrauensinterval der geschätzen Schadenwahrscheinlichkeiten deutlich enger zu ziehen. Auch das sorgt dafür, dass sich der Abstand zu den menschlichen Fahrer*innen vergrößert.
Das Segment der Fahrer*innen neuerer Automodelle: Was bringen Assistenzsysteme?
Versicherungen haben schon lange eine hohe Expertise entwickelt die Risiken, die ihre (potentiellen) Kunden mitbringen, zu bewerten und auf dieser Basis ihre Kalkulationen durchzuführen. Dabei haben sie auch Werkzeuge entwickelt um Segmente ihrer Kundschaft zu bilden mit Dimensionen wie Wohnort, Beruf, Alter, Fahrzeugtyp, bisheriges Fahrverhalten, etc.. Und für diese Segmente separate Risikoeinstufungen vorzunehmen.
Eine solche Segmentierung ist zum einen die Grundlage dafür, aus der Menge der Schadensereignisse die zu selektieren, die in den Waymo Regionen stattgefunden haben. Es wird aber zusätzlich ein separates Segment für den Vergleich gebildet, welches nur die Daten von Fahrzeugmodellen neuerer Generationen enthält.
Die Autor*innen des Papers verfolgen hier die Frage, ob die in diesen Fahrzeugmodellen in immer größerem Umfang vorhandenen Assistenzsysteme wie automatische Bremsassistenten in der Lage sind die menschlichen Fahrleistungen auf ein höhere Niveau zu heben und wenn ja, wie dann der Vergleich mit dem Waymo Fahrzeugen ausfällt. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung hat dieses Segment offenbar tatsächlich ein geringeres Schadensrisiko:
There was a 19% reduction in property damage claims between the overall driving population benchmark and the latest-generation HDV benchmark (OverallBL : 3.08 [3.063, 3.088] vs Latest-GenerationPDL : 2.49 [2.461, 2.515] claims per million miles). Likewise, there was a 21% reduction in bodily injury claims between the overall driving population benchmark and the latest-generation HDV benchmark
Das ist eine gute Verbesserung! Die Autor*innen hinterfragen allerdings selbst, ob ein Teil davon vielleicht durch die tendenziell älteren (=wohlhabenderen) Fahrer*innen bedingt ist, die sich neue Fahrzeuge leisten können und die generell ein geringeres Schadensrisiko haben.
Im Vergleich zu den Waymo Fahrzeugen schneidet aber auch dieses Segment deutlich schlechter ab, man kann auf Basis dieser Zahlen also nicht argumentieren, dass durch Assistenzsysteme augmentierte Fahrer*innen an die Performance der Waymos heranreichen.
Kritikpunkte am Vergleich auf Basis von Versicherungsdaten
Auch diese Art der Statistik bleibt nicht ohne kritische Anmerkungen der Autor*innen, die im Paper verschiedene Punkte aufzählen, die aus ihrer Sicht die Waymos schlechter stellen könnten als menschliche Fahrer*innen:
- Keine Nutzung von kostenpflichtigen Freeways durch die Waymos. Diese haben geringere Unfallzahlen als der sonstige Straßenverkehr, gehen aber die in Schadenwahrscheinlichkeit der menschlichen Fahrer*innen ein
- Waymos operieren den größten Teil ihrer Fahrstrecken in städtischen Zentren mit komplexen Verkehrslagen, während Menschen beim Pendeln viel Strecke auf einfacheren Straßen verbringen
- Es wurde keine auf Taxiservices spezialisierte Statistik verwendet, die vielleicht höhere Unfallzahlen enthalten würde
- Möglicherweise werden durch autonome Fahrzeuge verursachte Schäden häufiger gemeldet als von Menschen verursachte Schäden, da es keine Hemmschwelle gibt gegenüber den betreibenden Konzernen Schadensersatzansprüche zu stellen
Und was eine Versicherungsstatistik auch nicht vollständig erfasst: Alleinunfälle, bei denen außer den Insassen bzw. deren Fahrzeug niemand zu Schaden kommt.
Auf der anderen Seite liegt dem Paper eine sehr grobe Schätzung der menschlichen Fahrleistungen zu Grunde, da Versicherungen heute keine genaue Information darüber haben, wie viele Kilometer ihre Kund*innen im Jahr zurücklegen. Dies könnte eine Fehlerquelle sein, die die menschlichen Fahrer*innen in zu schlechtes Licht rückt.
Hier wird auf die in heutigen Fahrzeugen immer weiter ausgebauten Telematikfunktionen und teilweise (viel zu) umfangreichen Datensammlungen verwiesen, die in Zukunft vielleicht bessere Auswertungsgrundlagen bieten.
Appendix: Die beiden Fälle mit Verletzungen
Im Paper gibt es dann noch einen Appendix, der die beiden Fälle beschriebt, in denen es zu Verletzungen kam in Zusammenhang mit Waymo Fahrzeugen und bei denen die rechtliche Klärung noch offen ist. Beides sind Fälle, in denen man die Schuld wohl eindeutig den von Menschen gesteuerten Fahrzeugen zuweisen kann (riskantes Rechtsüberholen unter Nutzung eines Radwegs, Überfahren einer roten Ampel). Waymo zeigt dadurch, dass zumindest in Bezug auf die versicherungsrelevanten Fälle, die eigenen Fahrzeuge in keinem Fall für Verletzungen von Menschen verantwortlich waren. Und das ist bei 25 Millionen Meilen gefahrener Strecke eine Bilanz, die sich gar nicht mehr verbessern lässt.
Fazit: Ich würde in einem Waymo mitfahren – aber nicht unbedingt in einem anderen Modell
Die Beurteilung der Sicherheit autonomer Fahrzeuge kann natürlich nicht erst im Nachhinein – wenn potentiell bereits Schäden verursacht wurden – erfolgen: Die Hauptarbeit muss in Testgeländen, Simulationen und unzähligen Kilometern im echten Straßenverkehr, bei denen die Fahrzeuge noch mit Fahrer*innen besetzt sind, die im Notfall eingreifen können, geleistet werden. Und im Prinzip müssen viele dieser Tests bei wesentlichen Änderungen an Soft- und Hardware erneut stattfinden.
Der Vergleich mit den Versicherungsdaten ist aber trotz der weiterhin vorhandenen Unschärfen ein spannender Weg zur Beurteilung, wie sich solche Fahrzeuge im realen Verkehr bewähren. Und der auch ein einheitlicheres Niveau bei der Schadenshöhe einzieht, als es bei anderen Vergleichen der Fall ist.
Wenn man der Darstellung von Waymo Glauben schenkt, dann haben ihre Fahrzeuge in 25 Millionen Meilen Fahrleistung keine Menschen verletzt. Und auch wenn die Fahrzeuge ihre Passagiere nicht in jedem Fall vor einer Verletzung durch andere schützen konnten ist das eine enorme Leistung.
Ich würde gern mit einem Waymo fahren und denke es würde sich schnell ein Gefühl der Gewöhnung einstellen. So wie man auch in eine U-Bahn einsteigt ohne genau zu wissen, ob da vorn eigentlich jemand sitzt.
Allerdings würde ich das Vertrauen nicht automatisch auf andere Hersteller übertragen: Ein Grund, warum der General Motors Tochter Cruise die Lizenz für komplett autonom operierende Fahrzeuge nach einem Unfall entzogen wurde war auch das Verhalten des Unternehmens, welches Details zurückhalten wollte. Inzwischen ist Cruise Geschichte.
Neben der technischen Kompetenz ist für mich daher auch die Frage der Firmenkultur und der ehrlichen Kommunikation ein wesentlicher Teil der Vertrauensgrundlage. Und da zeigt das Beispiel Cruise, wie leicht es ist mühsam aufgebautes Vertrauen endgültig wieder zu verspielen.