Notizen zur Google I/O 2015

Gestern begann die Entwicklerkonferenz von Google und wie in jedem Jahr ist die Keynote der Auftakt und in gewisser Weise auch der Höhepunkt der Veranstaltung, jedenfalls von außen gesehen. Hier präsentiert eines der wichtigsten Technologieunternehmen der Welt seinen Stand, seine Produkte und seine Visionen für die nahe und ferne Zukunft. Das sind meine Notizen, ohne Anspruch jedes Detail abzudecken:

Google I/O 2015

Google als KI Unternehmen

Am Anfang der Keynote sprach Sundar Pichai eine kurze Zeit von den Fortschritten beim maschinellen Lernen, die Google im vergangenen Jahr gemacht hat. Ein Schlüsselkonzept sind dabei tiefgestaffelte, neuronale Netze, bei denen die verschiedenen Ebenen unterschiedliche Aspekte der gestellten Aufgabe lernen. Auch wenn das Thema nur vergleichsweise kurz und zeitlich deutlich getrennt von der heute am besten sichtbaren Anwendung (Google Photos) präsentiert wurde: Das ist das Thema, welches heute — oder immer schon — im Kern von Google steckt und mit dem offenbar schnelle und überraschende Fortschritte möglich sind. Beispiel die Spracheingabe bei der Google Suche, deren Fehlerrate innerhalb des letzten Jahres auf diese Weise deutlich verringert werden konnte.

Android M

Das Rechtemodell geht mehr in Richtung iOS: Rechte werden in größeren Gruppen gebündelt; Rechte werden (zumindest teilweise) erst bei der ersten Verwendung abgefragt; Können später wieder entzogen werden und lassen sich sowohl per App wie auch per Recht betrachten und bearbeiten. Sicher die größte Änderung am Rechtemodell, die es in Android jemals gab. Die Entwickler wurde damit geködert, dass Nutzer Apps dann schneller installieren (da keine vorherige Rechteabfrage mehr erfolgt) und auch bei Updates, in denen mehr Rechte verlangt werden, nicht mehr zögern.

Viel Herumreiten darauf, dass man sich in M auf Qualitätsverbesserung konzentriert habe. Vermutlich ein Eingeständnis, dass Lillipop ziemlicher Müll war, was die Softwarequalität angeht.

Google Now wird immer schlauer (und übergreifender)

Google baut seine bisher ziemlich einzigartige Now Funktion noch stärker aus und zwar nicht nur in der schon bekannten Weise, in der einem Informationen proaktiv angeboten werden. Mit Now on Tap kann man die Funktion in Android M dazu veranlassen, die von der gerade offenen App gezeigten Inhalte zu interpretieren und einem geeignete Funktionen und Informationen anzubieten. Hier legt Google also ein eigenes Layer über potentiell alle Apps. Ob die App Anbieter etwas dazu tun müssen ist nicht ganz klar geworden (vermutlich nicht), dagegen wehren können sich aber bestimmt nicht. Wenn das so funktioniert, wie sich Google das vorstellt, bekommt die Google Suche über Now wieder eine ganz neue Funktion und Wichtigkeit und kann das händische Hin- und Herspringen zwischen Apps weitgehend beenden.

Chrome custom tabs

Google arbeitet weiter an der möglichst nahtlosen Verschmelzung von Apps und Webinhalten. Ein neuer Weg sind die custom tabs, die Apps in Chrome öffnen können. Dabei wird ein Webinhalt zwar außerhalb der aufrufenden App in Chrome geöffnet, aber die App ist in der Lage einen Teil ihres Brandings und auch ihrer Funktionen an Chrome zu übermitteln. Damit entsteht für Entwickler ein dritter Weg neben der einfachen Verlinkung und dem Aufbau eines eigenen, internen Browsers über eine Webview. Frage ist für mich aber, in wie weit das andere Browser wie Firefox ausschließt?

Android Pay

Das Google Wallet wird zu Android Pay und wird sich dann auch in den eigenen Apps verwenden lassen. Zusammen mit der neuen Fingerabdrucksensor API, die Android M bringt, macht dies den Eindruck, dass Google hier stark Apple Pay nacheifert. Aber hier in Europa wird davon wohl auf absehbare Zeit nicht viel ankommen.

Brillo und Weave: Googles Lösung für das Internet der Dinge

IoT ist gerade wieder aktuell und tatsächlich kommen ja auch jede Menge Produkte auf den Markt, die irgendwie ‘intelligent’ sind, die sich aber in jedem Fall vernetzen wollen. Und deren komplexe Funktionen von außen gesteuert werden wollen.

Google bietet mit Brillo nun ein abgespecktes Betriebssystem, welches von Android abgeleitet ist und daher bestimmte Funktionen wie Netzwerkstacks erben kann. Interessanter ist aber vielleicht aus Nutzersicht Weave, welches ein Protokoll ist, über das sich IoT Devices und die sie steuernden Geräte wie Smartphones austauschen können. So soll man offenbar mit einer einzigen Weave App auf seinem Smartphone alle entsprechenden Geräte steuern können, die dort ihre Fähigkeiten darstellen.

Wird Google hier etwas schaffen, was quasi schon jeder große Softwarehersteller in den letzten Jahren irgendwie mal versucht hat, aber bisher noch nie so richtig geklappt hat?

Google Photos

Für mich der interessanteste Punkt dieser Keynote: Die Kernideen, die ich an einem Fotodienst in der Cloud am meisten benötige, werden umgesetzt. Google bietet sich als verlässlicher Speicherdienst für ‘lebenslange’ Fotoarchivierungen an. Nun weis niemand, ob es Google in 20 oder 30 Jahren noch gibt und wenn ja, welche Ziele das Unternehmen dann verfolgt. Trotzdem ist das die Zusage, die man von seinem Cloud Anbieter hören will und sie muss sich glaubwürdig anhören. Ich fand sie glaubwürdig, vor allem, da sie von einer weitgehenden Aufhebung der bisherigen Beschränkungen / Grenzen beim gratis zur Verfügung gestellten Speichervolumen begleitet wurde.

Natürlich will man die Bilder immer auf allen Geräten verfügbar haben. Hier gibt es sowohl in der neuen App wie auch in der Webdarstellung einige coole Interfaceideen und neue Gesten, die einem den Umgang mit seinen Bildmassen deutlich zu vereinfachen scheinen. Und schließlich die Suche und Gruppierung: Hier treten die Verbesserungen in der Bilderkennung durch das maschinelle Lernen klar zutage, Google kann inzwischen ein weites Feld von Begriffen / Dingen in Bildern erkennen und kategorisieren.

Das klappt nicht zu 100%, aber das ist auch nicht entscheidend: Zum einen wird sich dies weiter verbessern, zum anderen reicht es mir wenn die Suche nach ‘Pferd’ mir Bilder von Pferden zeigt, ein paar falsch klassifizierte Hundebilder sind da egal. Auf diese Weise kann man in den Datenhalden, die man in den vergangenen Jahren angehäuft hat, endlich wieder schnell die Bilder finden, die man gerade sucht, und das ohne aufwändige Verschlagwortung oder manuelle Einsortierung in irgendwelche Ordner.

Die neue App kam unmittelbar nach der Keynote an, so dass man gleich damit herumspielen konnte.

Cardboard und Jump

Die Papp-3D-Brille von der letzten Google I/O nahm einen überraschend großen Teil der I/O in Anspruch: Google nimmt die Sache, die zuerst wie ein Gimmick erschien, offenbar weiterhin sehr ernst. So gibt es nun eine Neuauflage, die auch große Smartphones aufnehmen kann und mit dem iPhone zusammenarbeitet, und ein merkwürdiges, ergänzendes Produkt: Jump.

Jump ist ein Weg um mit Hilfe von Google 360 Grad Videos erstellen, verarbeiten und veröffentlichen zu können und damit ein Lieferant für Inhalte, die Cardboard oder andere VR Lösungen erst interessant machen. Jump hat drei Bestandteile: Das erste ist im Grunde nur ein Bauplan, den Google zur Verfügung stellt, und der beschreibt wie man 16 Kameras anzuordnen hat, damit deren gleichzeitige Aufnahmen ein 360 Grad Bild ergeben und die spätere Verarbeitung möglich wird. GoPro wird schon ein fertiges Gerät anbieten, aber offenbar könnte sich im Prinzip jeder so etwas zusammenbauen. Google wird z. B. Steuerungsdateien für 3D Drucker veröffentlichen, die den Halter für die Kameras erzeugen.

Danach kommt die Verarbeitung: Aus den 16 Kamerafeeds muss eine 360 Grad Aufnahme samt Tiefeninformation und allen möglichen Blickpunkten synthetisiert werden. Hier bringt Google seine riesigen Rechenzentren ein, die diese Arbeit übernehmen sollen, und die Algorithmen, die all die komplizierten Transformationen durchführen. Schließlich muss das Endprodukt irgendwo abrufbar werden. Dazu dient natürlich YouTube und die entsprechenden Apps, die man dann in Cardboard nutzen kann.

In der Keynote wurde als denkbares Einsatzszenario der Schulbereich genannt, so könnte eine Klasse auf diese Weise tatsächlich zwischen den Gletschern in Grönland umherwandern, an statt sich nur eine flache Projektion anzusehen (aber wer bezahlt die teuren Smartphones?).

Zahlen, Zahlen, Zahlen

Viele Produkte wurde nur gestreift, dafür dann aber mit Zahlen um sich geworfen: 17 Millionen Chromecasts verkauft, für die 1,5 Milliarden Mal der Cast Button angeworfen wurde; eine Milliarde täglicher Android Nutzer; 1 Million Cardboards; so und so viele Android Wear Watches und Watchfaces; so und so viele Autohersteller, die bei Android Auto mitmachen; 50 Milliarden App Downloads im vergangenen Jahr (aber keine Zahl zu den generierten Umsätzen im Play Store).

Die nächste Milliarde Internetbenutzer

Ein wiederkehrendes Thema war die Frage, wie die Reichweite des Internets erhöht wird. Sei es durch Loom, die Ballone, die nicht verkabelten Regionen ein Funknetz bringen sollen; seien es günstige Android Smartphones, die für viele Menschen der erste (und vielleicht einzige) Computer sein werden, mit dem sie ins Netz gehen.

Hardware

Abgesehen von der neuen Cardboard Version und dem skurilen Kameraarray gab es da nichts. Weder ein Chromecast II noch neue Chromebooks und erst recht keine Nexus Geräte.

Programmierung

Konkrete Themen für die anwesenden EntwicklerInnen wurden hier nur gestreift, die Vertiefung kommt dann später in den Sessions. Da gab es Dinge wie die nächste Version von Android Studio, die nun auch sehr umfangreiche Unterstützung für C/C++ Entwicklung mitbringt; Polymer 1.0 ist da; Android M natürlich.

Fazit

Keine ganz so atemlose, überladene Veranstaltungen wie in früheren Jahren, aber trotzdem schön und anregend.