Einer der Podcasts, auf die ich erst kürzlich gestoßen bin, ist Forschergeist. Und über die Folge 34, in der Tim Pritlove mit Ernst Peter Fischer spricht, bin ich wieder an den großen Physiker Werner Heisenberg erinnert worden, dessen Todestag sich in 2016 zum vierzigsten Mal gejährt hat. Was mich nach dem Hören dieser Sendung besonders interessiert hat ist die Frage warum Heisenberg im Vergleich zu anderen Physikern dieser Zeit – insbesondere Einstein, aber auch Schrödinger – heute einen eher geringen Bekanntheitsgrad hat. Selbst nach dem kurzen Popularitätsschub, der vor einigen Jahren aus einer überraschenden Ecke kam.
Der (etwas) anstrengende, aber inspirierende Podcast
Der Podcast ist hörenswert, er skizziert das Leben und die wesentlichen Stationen von Heisenbergs Wirken in der Zeitspanne zwischen dem Ende des ersten Weltkriegs und dem Ende der Nazizeit. Naturgemäß wird stark auf die entscheidenden Entdeckungen eingegangen (Weiterentwicklung des Atommodells, Unschärferelation), die das Fundament der heutigen Quantenmechanik legten, und die anderen berühmten Personen, mit denen Heisenberg in dieser Zeit in Kontakt steht (Bohr, Pauli, Born, Einstein und viele andere). Tim Pritlove hat mit Ernst Peter Fischer einen Gesprächspartner, der ungeheuer enthusiastisch ans Thema herangeht: Wäre Heisenberg ein heutiger Popstar und Fischer ein 16-jähriger Teenager würde man ihn vermutlich als Groupie oder Fanboy bezeichnen.
Fischer – der zahlreiche Bücher zur Wissenschaftsgeschichte geschrieben hat – bemüht sich sehr Heisenberg mit seinen persönlichen Eigenschaften wie der Liebe zur Natur und zur Musik zu zeichnen und ihn so zu ‘vermenschlichen’, also den genialen Physiker, der eine mit anschaulichen Begriffen kaum beschreibbare Theorie entwickelt hat, auf eine Ebene zu holen, auf der man ihn und seine Motivation verstehen kann auch ohne Leistungskurse in Mathematik und Physik besucht zu haben. Dabei zeigt er eine außerordentliche Detailkenntnis.
Was den Podcast dann insgesamt etwas anstrengend macht sind zwei Dinge: Zum einen ist da Peters Fähigkeit ohne Punkt und Komma reden zu können. Selbst Pritlove als im Umgang mit Nerds und Geeks erfahrener Podcaster braucht da etwas bis er wieder in der Lage ist das Thema wo nötig voranzutreiben und die manchmal zu romantisierende Darstellung Heisenbergs zu hinterfragen. Und das ist der zweite Punkt, der zumindest mich beim Hören zunehmend gestört hat:
Peters scheint dem Objekt seiner Bewunderung im Laufe der Zeit so nahe gekommen zu sein, dass es ihm schwer fällt eine kritische Distanz an den Stellen einzunehmen, wo sie vielleicht angesagt wäre. Besonders fällt dies im Teil zu Heisenbergs Verhalten in der Nazizeit auf, bei dem Peters ohne direkten Anlass eine Art ‘Verteidigung’ von Heisenberg vom Stapel lässt, die in der absurden Aussage gipfelt, dass Heisenberg diese Zeit im wesentlichen am schönen Walchensee verbracht habe und dass jeder, der diesen See schon mal gesehen habe, einsehen müsse, dass man da garnicht mehr an Politik (und Krieg und Atombomben und massenhaften Mord) habe denken können.
Das macht den Podcast am Ende etwas unrund, da es den Verdacht weckt hier würde etwas unterschlagen und im Nachhinein hätte man an dieser Stelle sicher einiges mehr unterbringen können, z. B. den ‘Uranverein’, der in der Kriegszeit versuchte die Kernspaltung im Nazideutschland voranzubringen, die Anfeindungen, die Heisenberg von der sogn. ‘Deutschen Physik’ ertragen musste und die gescheiterte Reise zu Bohr nach Kopenhagen, mit der Heisenberg offenbar versuchte die Physiker der Welt zu einem gemeinsamen Verzicht auf eine Forschung an Atomwaffen zu bewegen, und die in einem gründlichen Missverständnis endete.
Aber letztlich haben mich diese Unstimmigkeiten dann dazu gebracht das Thema weiter zu verfolgen:
‘Der Teil und das Ganze’: Heisenbergs Erinnerungen
Der naheliegende Ansatzpunkt um mehr über Heisenberg zu erfahren ist sein Buch ‘Der Teil und das Ganze – Gespräche im Umkreis der Atomphyik’, welches im Jahr 1969 erschien. Dieses Buch ist keine (Auto)Biographie im eigentlichen Sinne, man erfährt daraus z. B. nicht, dass Heisenberg im Jahr 1932 der Nobelpreis verliehen wurde. Auch ist es kein Buch voller Formeln, tatsächlich kommen faktisch keine Formeln vor. Und trotz des Titels, der ja schon von Gesprächen spricht, war die Form dann eine Überraschung für mich: Zumindest anfänglich besteht der Text meist aus fiktiven Dialogen mit verschiedenen Weggefährten, die Heisenberg bis zu vier Jahrzehnte später rekonstruiert um die ihm wichtigen Punkte zu verdeutlichen. Dabei kann ich für mich zwei Schwerpunkte ausmachen:
Über Begriffsbildung in Physik und Philosophie…
Der größte Teil des Buches ist – natürlich – Themen aus der Atomphysik gewidmet. Heisenberg befand sich in jungen Jahren mitten einer Phase der Physik, in der die klassischen Beschreibungsmodelle nicht mehr so recht ausreichten um neu entdeckte Vorgänge in der Nähe des Atomkerns zu erklären. Nicht einmal warum Atome nicht direkt wieder zerfallen und wieso sie sich in den von den Chemikern schon lange beschriebenen Weisen miteinander zu Molekülen verbinden.
Heisenberg gelingt es hier – während eines durch einen Allergieschub erzwungenen Aufenthalts auf Helgoland im Jahr 1925 – die bisherigen Denkmuster abzuschütteln und ein allein an den vorhandenen Versuchsergebnissen orientiertes neues Modell zu entwickeln, welches zu einer der Grundlagen der Quantenmechanik wird. Zwei Jahre später ergänzt er die nach ihm benannte Unschärferelation, die der Genauigkeit von Messungen unterschiedlicher Eigenschaften eines Teilchens eine prinzipielle Grenze setzt, die sich auch nicht durch verbesserte Apparaturen oder Versuchsaufbauten unterschreiten lässt.
Das Jahrzehnt von 1920 bis 1930 nimmt dementsprechend einen großen Raum ein in ‘Der Teil und das Ganze’, wird aber nicht so behandelt, wie man es von einem Physiker vielleicht erwarten würde (wie zumindest ich es erwartet habe): Statt aus Zahlenreihen und Formeln und Verweisen auf wissenschaftliche Arbeiten zu bestehen ist dieser Teil des Buchs eigentlich ein durchgehender philosophischer und erkenntnistheoretischer Diskurs, aufgelockert durch einige persönliche Anekdoten zu den Orten und Umständen, an denen Heisenberg für ihn wichtige Erkenntnisse gewann.
Heisenberg – und seine Dialogpartner, denen er die Worte in den Mund legt, die diese nach seiner Erinnerung vielleicht gewählt hätten – sprechen immer wieder über die Frage inwieweit sich Begriffe aus der anschaulichen Welt, die wir mit unseren Sinnen erfassen können, eigentlich noch tauglich sind um sich über die merkwürdigen Aussagen der Quantenmechanik zu verständigen. Und wenn sie nicht tauglich sind, wie sollen sich dann Physiker untereinander eigentlich darüber verständigen?
Dieser Teil macht auch die intensiven Diskussionen zwischen den Physikern sichtbar, die oft zunächst nur Theorien diskutieren oder Konstrukte, mit denen sich zwar immer besser rechnen und immer mehr Dinge erklären (oder nur errechnen?) lassen, für die aber die menschliche Anschauung keine rechten Bilder liefern will.
…zur Frage der persönlichen Rechtschaffenheit in schwierigen Zeiten
In anderer Hinsicht interessant ist dann der Teil, der sich mit der Nazizeit beschäftigt: Heisenberg bleibt in Deutschland und stellt dies als bewusste Entscheidung dar, die er u. a. durch Gespräche mit Planck gefunden habe. Abgesehen von der politischen Lage sehen sich die Physiker durch Otto Hahn’s Entdeckung der Kernspaltung im Jahr 1938 sehr schnell vor diese Fragen gestellt:
- Wie kann damit einen ‘Supersprengstoff’ bauen?
- Ist es moralisch vertretbar beim Bau einer Atombombe mitzuwirken?
Beim ersten Punkt unterläuft den in Deutschland verbliebenen Physikern ein merkwürdiger Fehler, der die entsprechenden Forschungen in eine Sackgasse treibt. Beim zweiten Punkt können die Beteiligten vor sich selbst und der Nachwelt zu der Ausrede greifen, dass Nazideutschland im Krieg gar nicht die industriellen Ressourcen gehabt habe, die für den Bau einer solchen Waffe notwendig sind.
Man muss dabei den Punkten, die Heisenberg für sich und andere vorbringt, nicht folgen. Aber man erhält im Buch einen Einblick in diese Zeit, die es einem erlaubt vor einer Verurteilung Heisenbergs und der anderen darüber nachzudenken, wie man sich wohl selbst verhalten hätte.
Auch der letzte Teil des Buches – der die Nachkriegszeit in der noch jungen Bundesrepublik behandelt – widmet sich sehr stark dem Verhältnis von Atomphysik und Politik, dieses Mal zunächst in der Frage der zivilen Nutzung der Kernspaltung, dann aber auch der heute fern wirkenden Diskussion über eine nukleare Aufrüstung der Bundeswehr, in welcher der ‘Atomminister’ eine wichtige Rolle spielt.
Warum ist Einstein so viel berühmter?
Im Podcast beklagt Fischer die – aus seiner Sicht ungerechtfertigte – geringe Präsenz Heisenbergs im öffentlichen Bewusstsein, insbesondere im Vergleich zu Einstein. Diesen Eindruck kann man sich im Netz leicht bestätigen lassen, z. B. über die Google Trends:
Hier zeigt die rote Linie die aus Deutschland kommenden Suchen nach ‘Einstein’ und die blaue nach ‘Heisenberg’. Der Abstand ist immer enorm. Ein ähnliches Bild zeigt sich im Ngram Viewer von Google Books:
Diese Anzeige ist auf deutschsprachige Publikationen beschränkt, aber selbst hier kommen die beiden Linien sich nur ein einziges Mal nahe und zwar mitten im 2. Weltkrieg, als Einstein in Nazideutschland zum Feindbild aufgebaut wurde. Als letzter Test mag die Google Bildersuche dienen: Während man beim Suchbegriff ‘Albert Einstein’ etliche Bilder findet, die wohl fast jedem auf Anhieb bekannt sind…
..ist das bei der Suche nach ‘Werner Heisenberg’ nicht der Fall:
Aber warum ist das so? Sind die Entdeckungen Einsteins wichtiger als die von Heisenberg? Wenn man die Wichtigkeit als Einfluss auf unser heutiges Leben definiert, dann ist die Quantenmechanik – für die Heisenberg entscheidende Grundlagen geschaffen hat – als Basis für die heutige Elektronik möglicherweise wichtiger als die Entdeckungen Einsteins, denn bald wird jeder Mensch über sein Smartphone und das Internet mit den Resultaten in Verbindung stehen.
Allerdings sind die Effekte der Quantenmechanik so kompliziert zu erklären, siehe die langen Diskussionen, die selbst die besten Physiker ihrer Zeit in ‘Der Teil und das Ganze’ darüber führen, dass Normalsterbliche kaum eine Chance haben zu verstehen worum es dabei geht. Am bekanntesten ist da vermutlich noch das Gedankenexperiment von Schrödinger, welches als ‘Schrödingers Katze’ bekannt geworden ist, und das eigentlich ein Lächerlichmachen der Aussagen der Quantenmechanik darstellt, in dem es ihre Ausssagen in die makroskopische Welt überträgt, wo sie nichts verloren haben.
Hingegen haben Aspekte von Einsteins Relativitätstheorie wie die Zeitdilatation vielfältigen Eingang in die Popkultur wie die Science Fiction gefunden: Ganze Romane wie ‘Der ewige Krieg’ bilden ihre Handlung um diesen Effekt ab und machen ihn damit vermutlich für viele Menschen ‘erlebbarer’ als die merkwürdige Welt der Elementarteilchen.
Bei Einstein kommt aber vermutlich noch viel stärker zum tragen, dass er zu einer Art prototypischem Genie stilisiert wurde und das bis heute: Will man jemanden als hochintelligent bezeichnen, so nennt man sie/ihn einen Einstein. Vergleichbares ist mit Heisenberg nie passiert.
Heisenberg und ‘Breaking Bad’
Der Bekanntheitsgrad des Namens ‘Heisenberg’ hat allerdings seit 2009 eine interessante Steigerung erfahren: In diesem Jahr startete in den USA die zweite Staffel der Serie Breaking Bad. Dort legt sich der Protagonist Walter White für seinen Einstieg in den Drogenhandel das Alias ‘Heisenberg’ zu und verbreitet fortan Angst und Schrecken (und erfährt selbst ein gerüttelt Maß davon). Die Serie hat auch in Deutschland großen Erfolg und für einige Zeit einen wesentlichen kulturellen Einfluss, was sich zum Beispiel daran ablesen ließ, dass Breaking Bad Themen damals den regelmäßigen Posterverkauf in der Uni Bielefeld dominierten:
Es bleibt abzuwarten, ob dadurch der Name ‘Heisenberg’ einen dauerhaft gesteigerten Bekanntheitsgrad erreichen und wenn ja welche Assoziationen er dabei auslösen wird: Drogen oder Quantenmechanik? Das Ergebnis der Google Bildersuche zum Wort ‘Heisenberg’ hat die Serie jedenfalls schon nachhaltig beeinflusst: