Dieser Post ist inspiriert von zwei Podcasts, die ich in den letzten Wochen gehört habe:
- KI kann Kunst! … oder doch nur Kitsch? mit Dorothea Winter im Hörsaal Podcast des Deutschlandfunks
- Kann KI-Kunst wirklich Kunst sein? Über Bildgeneratoren, Kopien und Kreativität im Autonomie & Algorithmen Podcast, in der Christiane Attig und Benjamin Paaßen mit Amrei Bahr und Danny Frede sprechen
Beide behandeln die Frage, ob mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz erschaffene Werke Kunst sein können. Oder doch eher nur Kitsch oder sogar noch etwas belangloseres?
Das allein schon die Frage ‚Was ist Kunst‘ keine einheitliche, von allen geteilte Antwort hat, macht die Diskussion noch einmal komplexer und damit spannender. Ich möchte dabei drei Fragestellungen nachgehen:
- Kann ein mit KI Unterstützung von Menschen geschaffenes Werk für menschliche Betrachter*innen Kunst sein
- Kann ein von KI geschaffenes Werk auch ohne menschliche Intervention Kunst sein
- Könnte KI für sich selbst (und andere KIs) Kunst schaffen
Und am Ende die Frage, inwieweit es sich als Künstler*in auch heute lohnt, den Versuch zu unternehmen, die eigene Kunst zu machen, zu zeigen und vielleicht auch davon leben zu können.
Dabei spielen Schnecken eine Rolle, tiefe, digitale Träume, Industrieroboter, Chipstüten und die Aura. Die hier gezeigten Bilder wurden – sofern nicht anders vermerkt – mit Hilfe von Midjourney erzeugt und dann etwas nachbearbeitet.
Was ist Kunst
Frage ich dies ChatGPT in der 4o Version erhalte ich zum Beispiel diese Antwort:
‚Kunst ist ein vielschichtiger Begriff, der sich auf verschiedene menschliche Aktivitäten, Schöpfungen und Ausdrucksformen bezieht. Im Allgemeinen umfasst Kunst visuelle, darstellende und literarische Werke, die durch Kreativität, technisches Können und emotionale Tiefe gekennzeichnet sind. Sie dient oft dazu, ästhetische Erlebnisse zu schaffen, Ideen und Gefühle auszudrücken oder gesellschaftliche, kulturelle oder philosophische Themen zu erforschen.
Die Definition und Wahrnehmung von Kunst können je nach kulturellem, historischem und individuellem Kontext variieren. …‘
ChatGPT 4o, Prompt: ‚Was ist Kunst‘, gestellt am 7. Juli 2024
In dem umfangreichen Wikipedia Artikel zu ‚Kunst‘ findet sich dieser im zweiten Absatz:
‚Kunst ist ein menschliches Kulturprodukt, das Ergebnis eines kreativen Prozesses. Das Kunstwerk steht meist am Ende dieses Prozesses, kann aber auch der Prozess bzw. das Verfahren selbst sein. So wie die Kunst im gesamten ist das Kunstwerk selbst gekennzeichnet durch das Zusammenwirken von Inhalt und Form….‘
Wikipedia, Artikel ‚Kunst‘, abgerufen am 7. Juli 2024
Kunst ist dem Menschen vorbehalten
Beide Definitionen sprechen davon, dass Kunst eine menschliche Aktivität ist. Diese Muster, welche Schnecken beim Abgrasen eines Algenteppichs hinterlassen haben, zählen demnach eindeutig nicht als Kunst:
Auch wenn man – im richtigen Setting installiert – diese Ornamente sicher mit Bedeutung aufladen und als Kunst deuten könnte. Und ich habe das Bild ja auch nachbearbeitet, es steckt also doch etwas Menschliches drin. Ist da vielleicht doch (schon ein klein wenig) Kunst enthalten? Selbst wenn die eigentlichen Akteure, also die Schnecken, bei der Erschaffung des Musters keinerlei künstlerische Ambition hatten, sondern nur dem Überlebensalgorithmus gefolgt sind, der in ihren Neuronen mehr oder weniger fest eingeprägt ist?
Auch die im Autonomie und Algorithmen Podcast angesprochene Installation von Danny Frede, bei der in einer Umzäunung festgehaltene Saugroboter Farbe auf dem Untergrund verteilen, während sie ihrem Reinigungsalgorithmus folgen, bedient sich ja unintelligenter Akteure um etwas zu erschaffen (aktuell ist diese Installation direkt auf der Homepage zu sehen).
Wie viel Mensch braucht es also, damit etwas Kunst ist?
Kunst erfordert Kreativität
Kunst braucht Kreativität, da sind sich beide Definitionen einig. Die Definition in der Wikipedia beginnt mit dem Satz ‚Kreativität ist die Fähigkeit, etwas zu erschaffen, was neu oder originell … ist‚. Aber kann eine KI, die letztlich immer einem Algorithmus folgt, etwas derartiges erschaffen? Man kann in beide Richtungen argumentieren:
Neu sind die hier verwendeten Kreationen von Midjourney wenigstens in der Hinsicht, dass sie vor dem Aufruf der Generierung durch mich so nicht existiert haben, jedenfalls nicht wenn man Pixel für Pixel vergleicht.
Auf der anderen Seite haben sich weder die Entwickler*innen der Midjourney Software noch die von ihnen trainierte KI die Stile ausgedacht, die nun diese Ergebnisse produzieren. Der Neuigkeitsfaktor ist in diesem Sinn nur der zufällige Wert, der am Anfang des Generierungsprozesses in das Verfahren geworfen wurde und dieser ist zusammen mit dem von mir formulierten Prompt für das Ergebnis verantwortlich.
Steckt hier also die gesamte Kreativität in dem kurzen Prompt, welches ich schnell hingeschrieben habe? Im Zufallsfaktor sicher nicht, denn der kann auch aus einer Lavalampe kommen. Vielleicht ist das zu wenig, um als Kunst zu gelten.
Kunst braucht Anspruch
In dem Podcast mit Dorothea Winter wird die Unterscheidung zwischen Kunst und Kitsch gezogen. Die Definition in der Wikipedia beginnt dabei mit dem interessanten Satz ‚Kitsch steht zumeist abwertend als Synonym für etwas, das unnötigerweise Gefühle oder Sehnsüchte wachruft‚. Die Freunde von Kitsch würden sicher über das ‚unnötigerweise‘ diskutieren wollen und die Frage, wer eigentlich festlegt, was unnötige Gefühle sind.
Auch wenn Menschen, die sich viel mehr damit befassen, dem vielleicht nicht völlig zustimmen werden: Im Kern geht es hier um die Gefälligkeit von Werken und vielleicht kann man die Definition daher so abwandeln: Je gefälliger ein Werk ist, desto eher ist es Kitsch. Während das Provokante, Unbequeme oder gar Schmerzhafte es eher in Richtung Kunst gehen läßt.
Hier setzt dann auch die Kritik von Danny Frede an den heutigen Bildgeneratoren an: Letztlich erzeugen sie tendenziell eher gefällige Bilder und man muss sich schon etwas anstrengen, um Bilder mit nicht so perfekten Szenen zu erhalten.
Interessant fand ich da seine Erwähnung von Deep Dream: Das ist ein 2015 von einem Google Mitarbeiter entwickeltes Verfahren, welches im Grunde ein auf die Erkennung von Bildern trainiertes neuronales Netz ‚umgedreht‘ anwendet. Und es in vorgegebenen Fotos ‚Assoziationen‘ finden lässt. Die Ergebnisse waren oft surreal, wie in diesem damals erstellten Foto unseres winterlichen Gartens:
Wie in einem Fiebertraum sprießen überall Tierfragmente hervor, wo immer das neuronale Netz meint etwas zu erkennen. Wer Lust hat, mag einmal versuchen, die ganzen Stellen zu finden und das Tier zu identifizieren, welches die Maschine hier halluziniert hat. Es sind insgesamt deutlich mehr als ein Dutzend.
Diese Bilder sind bei weitem nicht so gefällig, wie die Ergebnisse von Midjourney. Die meisten würden sie vermutlich als düster und verstörend einstufen. Sind die Deep Dream Kreationen damit in einem höheren Grade Kunst?
Mensch + KI = Kunst (für Menschen)?
Nach dieser Vorrede nun zu den am Anfang aufgestellten Fragen. Die erste ist vermutlich die einfachste: Kann ein mit KI Unterstützung von Menschen geschaffenes Werk Kunst für menschliche Betrachter*innen sein? Einfache Antwort: Sicher nicht das mit einem schnell hingeworfenen Prompt (‚Male mir einen Sonnenuntergang‘) erzeugte KI Bild.
Aber kann man KI als eine Art leistungsfähigen Pinsel betrachten? Der die Kreativität in ähnlicher Weise verändern wird, wie die Einführung des Fotoapparats die Porträtmalerei? In der von ChatGPT gelieferten Definition ist zwar von technischem Können die Rede als Teil des Kunstschaffens, aber was heißt das genau?
Ich folge auf Instagram schon lange Callen Schaub, der einen Kunststil entwickelt hat, der sich im Kern darum dreht große Mengen von Farbe auf Platten zu schütten und die Farben durch Rotation des Untergrunds in interessante Strukturen zu bringen.
Er postet aber neben seiner Kunst auch regelmäßig einige der hasserfüllten Nachrichten, die er erhält. Manche Menschen regt es offenbar furchtbar auf, dass er ’nur mit Farbe rum kleckert‘ und dann für seine Werke einige tausend Doller verlangt. Seine Kunst ist also in der Hinsicht durchaus provokant, auch wenn man die Werke vielleicht eher als gefällig und damit als Kitsch einstufen könnte.
Warum ziehe ich diesen Vergleich? Weil es auf den ersten Blick ähnlich einfach wirkt eine KI anzuwerfen oder ein paar Eimer Farbe auszukippen (abgesehen vom Saubermachen). Aber aus meiner Sicht durchaus ein schöpferischer Akt daraus werden kann, wenn man wirklich interessante Ergebnisse nur dadurch erzielen kann, dass man Zeit und dann doch wieder eigene Kreativität investiert, um mit dem einfach zu nutzenden Ausgangsmaterial – ein Eimer Farbe oder ein KI Chatinterface – etwas zu schaffen, was sich nicht einfach reproduzieren lässt.
KI (ohne Mensch) = Kunst (für Menschen)?
Damit zur nächsten Stufe: Kann ein nur von KI geschaffenes Werk auch ohne menschliche Intervention Kunst sein? Ich bin mir da allerdings nicht einmal sicher, ob es dafür Beispiele gibt. Eine Näherung sind vielleicht die Werke von Refik Anadol, die ich wirklich gerne mal in echt sehen würde. Man kann die sich ewig weiterentwickelnden Wellenstrukturen, die er in gewaltigen Installationen zeigt, vielleicht als aus Messdaten gespeiste, algorithmische Kunst bezeichnen.
Würde so eine Installation, einmal in Betrieb genommen und sich dann selbstständig weiterentwickelnd, eine KI Kunst sein, die frei von menschlichem Einfluss ‚kreativ‘ ist? Oder kann es so etwas heute (noch) nicht geben, da die Grundstrukturen immer noch von Menschen erstellt werden?
Ein anderes Beispiel – auch wenn es komplett ohne KI auskam – könnte die Sker Plastik von Peter Lang sein, die von 2022/23 über zwei Monate hinweg im Sprengel Museum in Hannover entstand. Das Foto, welches ich bei einem Besuch gemacht habe, zeigt das Prinzip:
Der Künstler hat einen großen Industrieroboter installiert, der eine komplexe, von der Küste Islands inspirierte Form Schicht für Schicht gedruckt und nach und nach auf eine Höhe von 2 Meter gezogen hat. Der Roboter hat in dieser Zeit mehr oder weniger autonom agiert. Natürlich braucht er Strom und Helfer*innen, die regelmäßig Druckmaterial nachfüllen.
Aber koppelte man ihn mit einer KI, die sein Handeln bestimmt, und der Input für den Fortgang des Prozesses käme von dort, wäre das Ergebnis für die Betrachter*innen vielleicht nicht weniger beeindruckend. Nur gäbe es keinen Künstler, an dessen Leben und Werdegang man Interesse finden könnte. Und auch das ist ja Teil der Kunst, die Person, die sie erschafft.
Der von einer KI gesteuerte Roboter löst auch das grundlegende Problem nicht, dass es zumindest meines Wissens nach noch keine von einer KI erzeugten Kunstwerke gibt, für die nicht doch irgendwo die Inspiration und Kreativität von Menschen der Ausgangspunkt war.
KI als Künstlerin und Betrachter (ganz ohne Menschen)?
Die dritte Fragestellung ist damit noch theoretischer: Könnten KIs Kunst erstellen, die nur sie erfreut (oder aufregt) und vielleicht andere KIs mit ähnlichem ‚Geschmack‘? Und wenn ja, würden wir Menschen das überhaupt wahrnehmen?
Der Kunstbegriff ist, wie beschrieben, heute dem Menschen vorbehalten. Wenn es einmal tatsächlich so etwas wie eine generelle, künstliche Intelligenz geben sollte, dann wird sie vielleicht einen eigenen Begriff für ‚Kunst‘ finden und ob dabei Konzepte wie emotionale Tiefe eine Rolle spielen werden?
Vielleicht führt das auch zu einer Frage zurück, die in den Podcasts nach meiner Erinnerung nicht angesprochen wurde: Was ist eigentlich der Zweck von Kunst? Warum hat sich die menschliche Gesellschaft schon sehr früh Künstlerinnen und Künstler geleistet, die keine Lebensmittel anbauen oder zur Jagd gehen?
Werden die Maschinen, sollten sie einmal vor der gleichen Frage stehen, sich ähnlich entscheiden wie wir Menschen und der Kunst Raum und Ressourcen geben?
Als Künstler*in im Zeitalter der KI
In meinem Bekanntenkreis ist ein junger Mensch, der eigentlich über eine Ausbildung im Bereich Grafikdesign nachdachte. Aber angesichts der rasanten Entwicklung der KI diesen Berufswunsch ad acta legte. Ich fand diese Entscheidung etwas traurig, da sie gefällt wurde, noch bevor das eigene Potential für Kreativität und künstlerische Betätigung sich entfalten konnte.
Auf der anderen Seite war es vielleicht auch klug, denn die neuen KI Werkzeuge werden für viele Zwecke einfach ausreichende Ergebnisse liefern und dieser Berufsgruppe Aufträge wegnehmen. Ob dies ersetzt werden wird durch ein Mehr an Anwendungen von Illustrationen und den Bedarf, sich aus dem Einheitsbrei der generierten Bilder abzusetzen, ist heute kaum abschätzbar.
Trotzdem wird sich hoffentlich niemand, der Lust hat einen Stift oder Pinsel zur Hand zu nehmen, davon abhalten lassen, nur weil es möglich wäre mit Midjourney etwas ähnliches – und das ist vielleicht ein wesentlicher Punkt – etwas ähnliches, aber nicht komplett der eigenen Vision entsprechendes, viel schneller zu erstellen.
Und so, wie die Erfindung des Fotoapparats die Malerei weiterentwickelt hat, weg von der möglichst realitätsnahen Darstellung zu abstrakten Formen, die wir heute viel mehr schätzen, so wird es die KI vermutlich auch tun.
Und dann ist da noch der Aspekt des Originals: Hier wurde im Podcast Autonomie und Datenstrukturen der Begriff der ‚Aura‘ verwendet, die ein Original habe. Und deretwegen sich Menschen in lange Museumsschlangen stellen, nur um die Mona Lisa zu sehen. Obwohl man die schon auf Chipstüten im Supermarkt in Griffweite hat. Und bereit sich horrende Preise für Originalwerke zu bezahlen.
Und selbst wenn sich eine Zahnärztin in Zukunft Bilder für ihre Praxis mit einer KI generieren lassen kann, so wird der Besitz eines Originals von einer lokalen Künstlerin eine andere Wertigkeit und Persönlichkeit haben. Ähnlich wie man auf einem Festival keine Playlist aus dem Internet abspielt, sondern den Kontakt zu den Musiker*innen auf der Bühne herstellen möchte. Das wird KI nicht ersetzen.