Vor wenigen Tagen wurde ‘Stagefright 2.0’ bekannt, also die nächste Iteration der gefährlichen Fehler in Stagefright, der zentralen Mediaplayer Komponente des Android Betriebssystems. Warum soll das gut sein für die Sicherheit des weltweit meistgenutzten Betriebssystems?
Eine kurze Geschichte der Stagefright Bugs
Wir erinnern uns kurz: In den Wochen vor der Blackhat Konferenz Ende Juli begannen Gerüchte über einen schweren Fehler in Android zu kursieren. Der besondere mediale Reiz dieses Bugs war die Möglichkeit ihn über eine zugeschickte MMS auslösen zu können. Kombiniert mit dem damaligen Verhalten der Standard MMS Apps solche Inhalte ohne Zutun des Benutzers auszuführen hatte man ein mögliches Horrorszenario und Schlagzeilen wie ‘Eine Milliarde Android Geräte per MMS hackbar!’ waren die unvermeidliche Folge. Und der Name ‘Stagefright’ der betroffene Komponente lieferte auch gleich einen eingängigen Namen für das Problem.
Unter dem hohen öffentlichen Druck zeigte sich—wieder einmal—das größte Problem des gigantisch gewordenen Android Ökosystems: Nur ein Teil der mehr als eine Milliarde aktiver Android Geräte bekommt Updates. In diesem Fall standen selbst die Besitzer der direkt von Google mit Updates versorgten Nexus Geräte genauso dumm da, denn obwohl Google den Fehler seit Monaten kannte war noch kein Patch offiziell verfügbar.
Wie konnte es so weit kommen?
Wie konnte ausgerechnet Google in diese Misere geraten? Hat Google mit dem Chrome Browser die automatischen, ohne Benutzerintervention stattfindenden Updates doch erst zum heutigen Standard gemacht und auch in fast allen späteren Produkten durchgesetzt: ChromeBooks, Android Wear Uhren, Chromecasts, OnHub Router, Android TVs, sie alle bekommen ihre Updates unmodifiziert direkt von Google und sind trotz Nutzerzahlen, die ebenfalls im Millionenbereich liegen, immer auf dem aktuellsten Stand. Selbst auf Android Geräten hat Google mit den Play Services einen Systemteil, der regelmäßig Updates erhält, sich selbst ohne Benutzerinteraktion aktuell hält und heute ein wesentliches Element von Googles Android Sicherheitsmanagement ist.
Das Problem beim Android Betriebssystem ist durch das komplizierte Verhältnis zwischen Google, dem Herrscher über die Android Weiterentwicklung, seinen Partnern wie Samsung, die die eigentlichen Geräte bauen und Android dafür modifizieren, und den Telekomanbietern, die noch einmal eigene Anpassungen von den Geräteherstellern verlangen, entstanden. Vermutlich hatte Google bisher die — berechtigte — Sorge, dass Veröffentlichungen von Fehlerkorrekturen im Android Open Source Projekt (AOSP) schnell von Angreifern untersucht und zum Bau von Angriffscode genutzt werden. Schneller, als die Gerätehersteller in der Lage oder Willens sind ihren Kunden Updates zu liefern.
In der Konsequenz konnten nicht einmal die Nexus Geräte Updates erhalten, da auch hier ein Reverse Engineering möglich wäre. Und so ist die Situation entstanden, die am Ende die ganze Android Welt ohne ein einziges Gerät mit einer wirklich nach aktuellem Wissenstand fehlerfreien Version dastehen lies.
Der Befreiungsschlag
Der durch die ersten Stagefright Fehler aufgebaute Druck hat Google schließlich dazu gebracht seine Strategie komplett zu ändern: Der auf der Blackhat Konferenz vortragende Google Sicherheitsmann Adrian Ludwig kündigte in seinem lesenswerten Vortrag an, dass es ab sofort monatliche Sicherheitsupdates für die Nexus Geräte geben werde, gefolgt von einer raschen Veröffentlichung der Fehlerkorrekturen im AOSP.
Ob Google dabei nun vom Druck getrieben wurde, oder ob man den Druck nutzte um auch bei Android eine Entwicklungsgeschwindigkeit zu erreichen, wie man sie in allen anderen Google Produkten kennt, wird man von außen vermutlich nie abschließend beurteilen können. In jedem Fall gibt Google den Druck damit an seine Partner weiter: Der Angriffsdruck auf alle Android Geräte, die keine aktuellen Patches erhalten, wird durch diese neue Linie mit Sicherheit steigen.
Mindestes den großen Herstellern, die auf Markenbildung, nachhaltige Kundenbeziehungen und den Einsatz ihrer Produkte in Unternehmen und Behörden setzen, kann so ein permanenter Kritikpunkt nicht gefallen.
Den Druck noch weiter erhöhen
Interessanterweise hat Google den Druck in den letzten Wochen noch einmal erhöht. Google selbst hatte mit seinem Project Zero angefangen andere Softwarehersteller mit einer 90 Tage Frist bis zur Veröffentlichung von Fehlern unter Druck zu setzen. Und musste sich prompt in Bezug auf Stagefright den Vorwurf gefallen lassen, bei seinen eigenen Produkten offensichtlich mit zweierlei Maß zu messen.
Nach der Strategieänderung hat das Project Zero nun auch Android Lücken öffentlich aufs Korn genommen und in einem Blogpost demonstriert, wie die zunächst dank Schutzmechanismen wie ASLR eher theoretisch erscheinende Ausnutzbarkeit eines bestimmten Stagefright Fehlers in einer Weise aufgerüstet werden kann, die sie in unmittelbare Nähe eines verlässlichen Exploits bringt.
Die Updates von Google kommen
Inzwischen ist das dritte Sicherheitsupdate an die Nexus Geräte ausgerollt werden, kurz bevor Android 6.0 ausgeliefert wird. Google hat hier also sein Versprechen gehalten. Wenn man sich die Liste der behobenen Fehler samt ihrer Kritikalität ansieht und weis, dass sie bald allgemein bekannt sein werden, kann man sich schon die Frage stellen ob man — trotz der zusätzlichen Schutzmaßnahmen, die Google im Play Store und den Play Services implementiert — jemandem ernsthaft dazu raten kann sich ein Nicht-Nexus-Gerät zuzulegen.
Den ersten Gewinn für die Android Sicherheit aus dem Stagefright Desaster haben wir damit: Es gibt nun mit den Nexus Geräten — die bald zwei schöne Hardwareupdates erhalten — eine Android Linie, bei der man von Google garantiert häufige Updates für alle bekanntgewordenen Sicherheitsprobleme bekommt.
Aber auch Custom ROM Anbieter wie Cyanogen haben nun die Chance über die schnelle Integration der AOSP Korrekturen ihre eigenen Versionen von Android aktuell zu halten. Damit haben wir den zweiten Gewinn: Wer kein Nexus Gerät hat oder haben will, aber ein Gerät, für das ein Custom ROM verfügbar ist, kann nun ebenfalls auf ein schnelles Schließen von Sicherheitslücken hoffen.
Wann kommen die Updates von den Geräteherstellern?
Trotzdem hatte die Masse der Android Nutzer bisher noch keinen unmittelbaren Vorteil von diesen Entwicklungen, auch wenn einige Gerätehersteller nach den ersten Stagefright Lücken schon Updates ausgerollt hatten. Hier kann man aber hoffen, dass das nun durch die Nexus Updates monatlich aufflackernde Sicherheitsthema dafür sorgt, dass der Druck auf die Hersteller und Telekomunternehmen nicht nachlässt. Am Ende kann hier eigentlich nur die Einsicht stehen, dass die Möglichkeit schnell und häufig Updates an die Geräte der Kunden zu geben ein eigenes Qualitätsmerkmal ist, mit dem sich werben lässt.
Wenn dieser Status — wenigstens für die Flaggschiffgeräte der großen Hersteller — erreicht worden ist, dann haben wir den dritten und entscheidenden Gewinn aus den Stagefright Lücken gezogen. Ein Gewinn, der sich im verwickelten Android Ökosystem offenbar erst mit dem enormen Druck, den die Stagefright Probleme ausgelöst haben, realisieren liess.
Und falls dies auch dazu führt, dass die im Zeitalter des Material Design oft klobig und unelegant wirkenden ‘Verbesserungen’ der Gerätehersteller am Android System zurückgefahren werden, so kann man dies nur begrüßen.