Leseempfehlung: ‚Countdown to Zeroday‘ von Kim Zetter

Es ist schon etwas Zeit vergangen seit der letzten Leseempfehlung hier, aber meine gerade beendete Urlaubslektüre hat sich für mich sehr gelohnt. Es ist Countdown to Zero Day: Stuxnet and the Launch of the World’s First Digital Weapon (ISBN 0-77043-617-X) von Kim Zetter. Zwar ist das Buch schon aus dem Jahr 2014 und angesichts der schnellen Entwicklungen im IT Bereich daher nicht mehr ganz up to date. 

Aber es ist trotzdem lesenswert, denn die Stuxnet Schadsoftware ist bis heute (2022) ein einzigartiges Beispiel für eine digitale Waffe, die auch zum Einsatz kam bzw. deren Einsatz entdeckt wurde.

Die Autorin nimmt auf den 500 Seiten alle Aspekte in Augenschein, vielleicht manchmal schon zu umfassend, darunter diese:

Die Sicht der Sicherheitsforscher

Die Personen, die mit der Analyse der ungewöhnlich komplexen Schadsoftware befasst waren, insbesondere bei Symantec und dem deutschen Unternehmen Langner, erfahren eine umfassende Porträtierung. Und die für sie neuen Fragestellungen:

  • Ist es insbesondere für ein US Unternehmen wie Symantec eigentlich opportun eine von der US Regierung beauftragte Operation zu (zer)stören?
  • Wie ist es mit den möglichen persönlichen Risiken, denen man sich dabei im Gegensatz zur Analyse irgendeiner beliebigen Virussoftware aussetzt?
  • Ist man in irgendeiner Weise mitschuldig, wenn der digitale Angriff aufgedeckt wird und die Geheimdienste ihre Strategie dann offenbar auf Mordanschläge umstellen?

Die Funktion der Waffe

Es gibt ein umfangreiche Beschreibung der ‘Nutzlast’ der Schadsoftware, sozusagen des digitalen Sprengkopfs. Dieser bestand aus auf die spezielle Steuerungssoftware von Siemens, die attackiert wurde, zugeschnittenen Elementen, die so ganz anders funktionieren als der Code, den Sicherheitsforscher im Umfeld gängiger Betriebssysteme wie Windows oder Linux gewohnt sind, was die Analyse sehr erschwerte.   

Das Ziel der Waffe

Die Schadsoftware richtete sich – das kann heute wohl als sicher gelten – gegen das iranische Nuklearprogramm bzw. den Teil, in dem die Urananreicherung mit tausenden von Zentrifugen erfolgt. 

Und war damit ein Teil eines über Jahrzehnte – bis heute – andauernden Konflikts zwischen dem Iran, der USA, Israel, aber auch weiteren Staaten. Hier rollt das Buch die verschiedenen Parteien auf, wobei es naturgemäß schwierig ist die eigentlich Verantwortlichen zum Reden zu bringen oder auch nur zu benennen.

Ein wesentlicher Teil des Buches befasst sich auch mit der Frage ob so eine Schadsoftware ein kriegerischer Akt ist. Das ist keine unwichtige Frage, denn die Alternativen aus Sicht der USA und Israels wären eindeutige kriegerische Akte wie Luftangriffe.

Und würden die USA – wenn sie in ähnlicher Weise angegriffen würden – so eine Attacke genauso einschätzen, wie sie es damals als Angreifer getan haben?

Was braucht es sonst noch um so eine Waffe zu entwickeln

Was in der Berichterstattung über Stuxnet oft zu kurz kam ist die Frage wie es überhaupt technisch möglich war eine Software zu entwickeln, die in offenbar sehr subtiler Weise komplexe Hardware – die Zentrifugen der Urananreicherung – beschädigen und in ihrer Leistung einschränken kann.

Hier wird klar, dass solche Angriffe kaum ohne einen umfangreichen Maschinenpark und langen Vorlauf realisierbar sind.   

War Stuxnet erfolgreich

Die Antwort auf diese Frage ist überraschend kompliziert und vielfältig. Da niemand der Personen, die es am besten wissen könnten, ein Interesse hat die tatsächlichen Fakten offenzulegen gibt es nur umfangreiche Indizien, die die befragten Expert*innen aber auch wieder ganz unterschiedlich auslegen.

Interessant ist auch die Frage ob die Autor*innen der Schadsoftware hätten aggressiver vorgehen sollen. Es wäre vermutlich ‘leicht’ gewesen tausende von Zentrifugen zu zerstören, aber damit hätte man die Iraner auch direkt darauf gestoßen, dass irgendetwas grundsätzlich nicht stimmt. 

Der Umgang staatlicher Stellen mit Zero Day Lücken

Stuxnet nutzte eine – zumindest für damalige Verhältnisse – ungewöhnliche große Anzahl von Zero Day Lücken – also vor ihrer Entdeckung in Schadsoftware zumindest bei den jeweiligen Softwareanbietern wie Microsoft unbekannte Lücken – aus. Insgesamt waren es 4.

Hier wird der Konflikt diskutiert den staatliche Stellen haben, die auf der einen Seite die Sicherheit ihrer Bürger und der Infrastruktur sichern sollen, aber auf der anderen Seite solche Lücken für Geheimoperationen in Reserve halten möchten. Teilweise sogar die gleichen staatlichen Stellen.

Seit damals hat sich einiges getan was Bug Bounty Programme angeht, aber der Markt für solche Lücken in wichtigen Systemen ist eigentlich nur noch größer geworden und die Preise viel höher, die Unternehmen wie Apple, Google oder Microsoft bieten müssen, damit sie halbwegs sicher sein können das Fehler in ihren global eingesetzten Produkten bei ihnen gemeldet werden, und nicht bei einer der vielen Plattformen, die sie an den Meistbietenden verkaufen.

Die Büchse der Pandora – geöffnet, aber nicht genutzt?

Das Ende des Buches wird die Metapher der Büchse der Pandora verwendet: Haben die Personen, die Stuxnet auf den Iran und letztlich auf die Welt losgelassen haben damit einen Präzedenzfall geschaffen, der sich nicht mehr ungeschehen macht? Ähnlich den Detonationen der ersten Atombomben?

Dieser Argumentation kann man sich kaum verschließen, aber es ist heute – 8 Jahre nach dem Erscheinen des Buches – festzustellen, dass vergleichbare Ereignisse seitdem nicht wieder bekannt geworden sind. Auch im aktuellen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine scheinen solche Mittel eher nachrangig – wenn überhaupt – zum Einsatz zu kommen.

Tatsächlich kommen heute große Infrastrukturausfälle durch digitale Angriffe vor, siehe z. B. den Angriff auf die Colonial Pipeline, der zu massiven Störungen der Energieversorgung in den USA führte. Aber diese Angriffe werden von Kriminellen ausgeführt, denen es um Geld geht, nicht von Staaten oder Geheimdiensten. Und die viel simplere Sicherheitslücken ausnutzen und auf diese Weise teilweise überraschend tief in hochwichtige Systeme eindringen.

Das liegt vielleicht daran, dass sich eine digitale Waffe oft nur einmal einsetzen lässt, danach ist ihr Wirkmechanismus bekannt und kann abgestellt werden. Und der Angegriffene bekommt mit der Schadsoftware auch eine Blaupause dafür, wie diese Waffe funktioniert, und kann sie nachbauen. Das macht den Einsatz riskant und trotz der ‘Vorteile’ – hauptsächlich wie schwer es ggf. ist nachzuweisen, wer für einen Angriff verantwortlich war – nur für wenige Szenarien attraktiv. 

Empfehlung

Wer sich für IT Sicherheit interessiert, aber dabei nicht rein für die Bits und Bytes, der findet hier interessanten Lesestoff in einer Tiefe, die sich mir damals, als das Thema ganz aktuell war, so nicht erschlossen hat.

Und 8 Jahre später die Prognosen zur Ausbreitung und zum Einsatz von digitalen Waffen mit der Realität vergleichen zu können ist ebenfalls spannend.